TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration
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Gerschen Geselle
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Thema: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mi 06 Dez 2023, 10:07
TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration
Meine ersten Zeugnisse vom TEMPO E 200 Kombi, aufgenommen frisch als neuer Besitzer, kopiert auf Dokumenten-Fotopapier im eigenen kleinen Labor
Vor einiger Zeit hatte mir ein Herz gefasst und den Bau einer Replik eines Dreirads mit Kastenaufbau beschrieben. Es betraf einen GOLIATH F 200. Ich beschrieb die Situation des Fundes, die Planung, die Holzarbeiten im Groben und im Detail, die Beblechung und das Beziehen des Daches mit Kunstleder. Der Bericht war zuerst zu meiner Freude, auch als Gedächtnisstütze und Doku zum umfangreichen Fotobestand für spätere Besitzer des Dreirades gedacht. Später, als sich immer mehr herausstellte, daß das GOLIATH-Forum (Goliath-Veteranen-Club) etwas vor sich hin tümpelte, habe ich Text und Fotos zusammen gebracht und nicht zuletzt den Ermahnungen unseres Kollegen Uwe -AbzweigLetter- folgend, einen Beitrag über mehrere Tage ins GOLIATH Forum gestellt. Der Erfolg ist für mich beträchtlich, was die Klicks betrifft. Gelesen oder wenigstens aufgerufen wurde über tausendzweihundert Mal, allein der Erfolg ist auch vergiftet, denn die „Mühe“ einer Antwort oder eines Zwischenrufs haben sich nur zwei der ewigen Verdächtigen gemacht. Seis drum. Die „Geschichte“ hat man gelesen, Einspruch nicht erhoben und so sehe ich die Aktion im Nachhinein als Erfolg. Darum möchte ich auch die Besucher dieses TEMPO-Forums zum Fremdgehen auffordern: Lest die Geschichte bei GOLIATH Veteranen Club, man wird dadurch nicht dümmer und Werbung für das Dreirad gleich welcher Firma ist immer vonnöten. (Quelle: GOLIATH Veteranen Club, Forum Übersicht: Bau einer Replik-Karosse GOLIATH F 200 Kasten)
Mitten drin in der Arbeit an dem GOLIATH F200, Bj. 1936
Und nun habe ich, mutig geworden, den Entschluss gefasst, über eine erfolgte Restauration eines TEMPO E 200 Kombinationswagens, Baujahr 1937, zu berichten. Also im Nachhinein Fotos und Arbeits-Erinnerung zusammen zu bringen. Es soll kein „Zwilling“ des GOLIATH-Berichts werden, aber die Herangehensweise wird die gleiche sein.
Über Motor, Getriebe, Fahrwerk etc. schreiben möchte ich nicht, das „Alleinstellungsmerkmal“ meines E 200 ist seine Karosse. Mittlerweile weiß ich in etwa, wie viele Kombis es noch gibt, ihr Bestand ist sehr gering im Verhältnis zu den Pritschen. Zudem hat der Zahn der Zeit bei ihnen auch nachträgliche „Lösungen“ entstehen lassen, denn mit den Dreirädern wurde gearbeitet und Veränderungen aus den verschiedensten Gründen waren normal.
Der Bau der GOLIATH-Replik war eine reine Holzsache, die Arbeit am TEMPO nun eine in Blech. Gegensätzlicher könnte es gar nicht sein. Vermenschlicht könnte man bei beiden Materialien von unterschiedlichen Charakteren sprechen, die Wirklichkeit ist, man muß sich als „Schrauber“ einfach darauf einlassen, dann wird es.
Meine Restauration/Rekonstruktion ist nichts für Puristen, die eher den 100prozentigen Zustand ohne Eingriff nach 80 Jahren Arbeitsleben zeigen möchten und das ist aus meiner Sicht interessant und legitim, wenn auch etwas modisch. Meine Arbeit ist eher der Versuch, sich dem funktionellem Zustand des ersten Tages nach dem Kauf durch den Erstbesitzer zu nähern. Dazu gehört z.B. die Originalfarbe, denn an ihr kann man wunderbar sehen, wie sich unser Geschmack schleichend verändert bis hin zur völligen Ablehnung mancher Farbtöne. Ebenso sind für mich die vielen Details interessant, für die wir heute selten ein Auge haben, die aber vor achtzig Jahren gang und gäbe waren, unter anderem auch deshalb, weil mehr Auto-fremde Gewerke in der Produktion Fuß gefasst hatten. Beispiel Einsatz der Materialien Leder, Filz, Gummi etc.. Und zusätzlich: Bei meinen Recherchen zu Beiträgen in diesem Forum ergibt sich: Nur ganz selten ist von den Umständen, wie heutige oder gestrige Besitzer zu ihrem Vehikel kamen, die Rede. Deshalb möchte ich auch von dem Wenigen in meinem Fall erzählen. Das gehört dazu. Das macht die nackten Fakten zur Geschichte eines Dreirades.
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AbzweigLetter Ingenieur
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mi 06 Dez 2023, 11:54
Hallo "Papa" Gerschen, ich bin ja nun fast schon ein "Kenner" Deiner Fähigkeiten, da ich Deinen mehrteiligen Restaurationsbericht im Goliath-Forum mit viel Spaß und Spannung (und natürlich auch Entspannung...) gelesen habe. Ich hatte Dir schon geschrieben, dass es für mich sehr lehrreich war. Nochmals vielen Dank dafür.
Da der Goliath F2 einen karosserietragenden Holzrahmen unter seinem Blech hat (wie auch der Nachkriegs-GD750 noch), ist natürlich eine ganz andere Herangehensweise gefordert, als bei einem E (Eisen) -Tempo. Du hast es oben erwähnt.
Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich hier kurz etwas zu der F-Serie schreibe? Nicht jeder Tempo-Freund wird sich auch mit Goliath auskennen.
Die Goliath-Leute unterscheiden den F in zwei Generationen, die sie als "F1" und "F2" unterscheiden, z. B. wie bei VW der T1, T2 usw. Der F-Typ wurde 1932 vorgestellt. Die Karosserie des F1 war, bis auf die Haube (zuerst nur Hauben-Oberseite), komplett aus Holz. Deshalb unter Goliath-Leuten auch die alternative Bezeichnung "Holz-F". 1935 wurde die zweite Generation vorgestellt, zu der auch der vom @Gerschen restaurierte Kastenwagen gehört. Er hatte weiterhin einen tragenden Holzrahmen für die Karosserie, war jedoch überall mit Stahlblech beplankt. Deshalb unter den Goliath-Leuten die alternative Bezeichnung "Stahl-F". Der F wurde 1938 durch meinen FW abgelöst. Soviel nur kurz zu Geschichte dieser Baureihe.
Deinen interessenten Goliath-Restaurationsbericht will ich an dieser Stelle (klick) noch verlinken, damit er schneller gefunden werden kann.
Das ist auch für Tempo-Leute durchaus von Interesse, denn es gab ja vor dem "E wie Eisen" auch die "Frontwagen" und die "D wie Holz" mit einer dem Goliath F weitgehend entsprechenden Karosseriekonstruktion.
Also Leute, hier (klick) kommt Ihr zu Gerschens Goliath-F-Restaurationsbericht im Goliath-Forum - es lohnt sich, auch (oder gerade dann) wenn Ihr nicht viel mit Holzarbeiten anfangen könnt! Außerdem ist es eine nette Winter-Lektüre.
Bin gespannt auf Deine Fortsetzungen, ich freue mich darauf - vielen Dank!
Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 07 Dez 2023, 09:07
Der letzte Beitrag endete: Deshalb möchte ich auch von dem Wenigen in meinem Fall erzählen. Das gehört dazu. Das macht die nackten Fakten zur Geschichte eines Dreirades.
Begonnen hat alles mit meinen Beruf als Industrie-Formgestalter in der Fahrzeugindustrie der DDR. Das Fazit meiner beruflichen „Entwicklung“: Kein Mensch will einen PKW mit rein funktioneller Ausrichtung, aber alle lieben den kleinbürgerlichen Glanz von Lack und unnützen Funktionen, davon sind DDR-Bürger nicht ausgenommen, im Gegenteil. Auf der Suche nach Fahrzeugen mit möglichst wenig „Augenwischerei“ bin ich in der Historie bei den Dreirädern der dreißiger Jahre gelandet. Sie haben es mir angetan, auch weil Relikte des mechanischen Zeitalters: Überschaubar, praktikabel für Nutzer und Reparateure, vernünftige Nutzfahrzeuge im wahren Sinne des Wortes. Sie sind deshalb nicht beliebig, weil sie „nur“ fahren und transportieren und nicht mit ideologischer Fracht wie z.B. Protzerei oder Statussymbolik überfrachtet sind.
In den Achtzigern haben sie mich also gefunden, die Dreiräder der 1930er. Über Nachbars Zaun machte mir ein verrotteter FRAMO Zeichen, sich seiner zu erbarmen. Was ich auch tat. Das Lösegeld war hoch, mein Salär als Freiberufler gering, aber der gute LT 200 von FRAMO war genau mein Geschmack und stand nun in meinem Stall. Ich hatte in den 1970ern schon mal einen Versuch gewagt, einen Oldtimer zu restaurieren, aber Familie, Geld, Zeit waren Faktoren, die gegen den Aufbau eines NSU-Topolinos sprachen. Schade. Ich erinnere mich gern an dieses Auto. Nun ein Dreirad in wesentlich schlechterem Zustand.
FRAMO LT200 im Fundzustand
Und weil ich einmal Blut geleckt hatte und weil mir der Zustand des FRAMO und die Vergänglichkeit zu denken gab, schob ich eine Annonce in verschiedenen Zeitungen des mitteldeutschen Raumes nach. Erfolg: Zuschriften aus Dresden, Altenburg, Thüringen usw.. Das „Suche Dreirad zur Restauration“ hatte Erfolg. In Dresden eine TEMPO-Pritsche, scheiterte aber am Transport. In Altenburg war ein Dreirad zum Bienenwagen umfunktioniert. Hoffnungslos, der Besitzer wollte hauptsächlich reden. Aber eine NSU Quick konnte ich nach Hause bringen. Aus Thüringen bekam ich einen netten Brief des Inhalts, ich könne einen TEMPO Kombi haben für 4000,- Mark der DDR. Eine Menge Geld. Noch wußte keiner, daß sich ein Jahr später die Mauer öffnen sollte. Deshalb war der Preis auch nicht erschreckend, er war nicht dem Objekt Oldtimer zugeordnet, sondern einfach der Tatsache, das PKW u.ä. in der DDR äußerst knapp waren. Im Brief weiter der Besitzer: Er könne den TEMPO auch bringen. Sein Standort wäre Neustadt an der Orla. Das mit dem Fahren aus Thüringen war ein Argument.
Karte Ostthüringen - Westsachsen (OpenStreetMap)
Nach Neustadt an der Orla sind es rund 60 Kilometer. Mit etlichen straffen Steigungen und Gefällen aus dem Thüringischen hoch ins Vogtland. Nicht schlecht für 200 ccm. Und als Argument ausschlaggebend. Ich willige in den Handel ein, und mache einen Termin aus, an dem der Verkäufer das Dreirad bringen will. An dem besagtem Tag fast zur ausgemachten Zeit draußen vor der Tür fremde Motorengeräusche. Ich komme gerade noch dazu, den Fahrer aus dem Dreirad steigen zu sehen. Ein großer schwerer Mann, der eine eigentümliche Art des Aussteigens praktiziert: Er hebt mit beiden Händen sein linkes Bein fassend dieses aus der Fahrertür, den Rest-Körper mit Drehen und Wenden hinterher. Der Mann hat ein Holzbein, ein steifes Bein. Auf der Beifahrerseite steigt sein ebenfalls „kräftiger“ Sohn aus, das Dreirad schaukelt wie ein Kahn bei Sturm. Ist mir alles neu, erst später weiß ich, das ist typisch für TEMPO-Federung. Aber wie das Fahrzeug mit seinem Chauffeurs so steht, bewegt mich die Frage, wo hat der Mann während der Fahrt sein linkes Bein gelassen und frage ihn danach. Er zieht die Motorhaube hoch, arretiert sie und und deutet auf eine unförmige Ausstülpung in der Stirnwand hin zum Motorraum. Die Ausstülpung entpuppt sich als Ledersack, in dem der Fuß des Fahrers während der Fahrt zum Liegen kommt.
Blick in den Motorraum: Ledersack für den linken Fuß, das Kupplungspedal ist deaktiviert
Schweres Leder, genäht und an die durchlöcherte Stirnwand genietet und geschraubt. Er muß schon länger mit dem Lederteil gefahren sein, es ist mit Öl vollgesogen, Reste der letzten Lackierung sind zu sehen und es ist über und über voll Straßenschmutz. Aber das Kuppeln, wie geht das? Meine Frage. Und er zeigt auf den Schaltstock. Aus einem Loch auf Höhe des Motors schlängelt sich ein Bowdenzug hinunter zur Kupplung. Am Schaltgriff selbst ist ein Handhebel wie von einer Fahrradbremse. Das ist der gleichwertige Ersatz des Kupplungspedals. Und funktioniert! Habe mich später davon überzeugen können, leichtgängig und präzise. Und ein gutes Beispiel dafür, wie fest gefasste Vorstellungen, wie etwas zu sein hat, auch Ingenieuren der 1930er Jahre anhingen, denn der Bowdenzug ist bereits um diese Zeit zigfach erprobt und auch am TEMPO genutzt. Aber die Fußpedalerei war Usus und Kundschaft hat das Sagen.
Oberes Foto: Schaltstock mit Befestigungloch für den Handhebel (der auf dem Foto fehlt). Unteres Foto: Der Bowdenzug läuft im Inneren des Stocks, dann wie üblich unter dem Motor zur Kupplung
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AbzweigLetter Ingenieur
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 07 Dez 2023, 12:52
Hallo "Papa" Gerschen, hallo Leute, ich habe mir mal die wahrscheinlichste Tour von Neustadt an der Orla nach Reichenbach im Vogtland angesehen, weil mich das an frühere Gewalttouren mit meinem 400er Hanseat von Resse bei Hannover z. B. nach Hachenburg im Sauerland (ca. 320 km), nach Belzig in der Mittelmark (ca. 230 km) oder nach Leipzig (ca. 250 km) erinnert. Da waren auch viele langgezogene Steigungen zu bewältigen, aber mein '51er Hanseat hat das mit Bravur überstanden. Der hat aber zwei Zylinder mit 400 ccm und immerhin 15 PS... Da kann man nur sagen: Hut ab für den kleinen 200er mit nicht einmal der Hälfte an Leistung und das mit zwei Schwergewichten an Bord.
Da man meine o. g. Links nur aufrufen kann, wenn man eingeloggt ist, will ich hier nochmals den vollständigen, offenen Link einfügen. Hier geht es zum Goliath-Restaurationsbericht von @Gerschen:
So können auch die Leute, die als Gast hier mitlesen, Deinen Bericht finden.
Mich würde interessieren, bis wann (Jahr) Dein 200er Kombinationswagen in der DDR offiziell angemeldet war und seinen Dienst leisten musste.
Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 07 Dez 2023, 13:14
Hallo Uwe, ganz herzlich Danke für Deine Hilfestellungen in Sachen "einen Link zu installieren" ect.. Meine Kenntnisse in Sachen Computer sind doch recht begrenzt und deshalb freue ich mich zu spüren, wie Hilfestellung in einem Forum funktionieren kann. Gruß an alle - Gerschen - Jürgen Hohmuth
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Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Fr 08 Dez 2023, 08:53
Die letzte Folge endete: Aber die Fußpedalerei war Usus und Kundschaft hat das Sagen.
Ich habe nachgeforscht und kann meine Aussagen noch etwas präzisieren. Ich habe noch Schriftverkehr, Kaufvertrag und Anzahlungsquittung, diese ist auf Anfang 1986 datiert. Im Schriftverkehr gibt der Verkäufer an, daß das Fahrzeug sieben Jahre nicht gefahren wurde, zugelassen ist und fahrtüchtig. Warum das Dreirad auf den Fotos noch die „alten“ Kennzeichen des Bezirks Gera hat - ich weiß es nicht mehr.
Der Noch-Besitzer ist von Beruf Sattler, er hat das Dreirad nach seiner Aussage viele Jahre gefahren, aber das Sattlerhandwerk hat er wohl am besten beherrscht, alles ist sehr ordentlich von ihm selbst gemacht, wenn auch durch den Gebrauch verschlissen. Wenig Interesse hat er wohl an der Technik gehabt, alles funktioniert, ist aber ungepflegt. Er (und sein Vater) sind mit dem TEMPO nicht wie mit einem Oldtimer gefahren, sondern haben es wie ein Alltagsfahrzeug behandelt. Fahren bis der Autoschlosser kommt. Was sich mir bei der späteren Motorüberholung bestätigt. Eine 200er Motoren-Katastrophe. Wie es dieser Motor die 65 km mit der schweren Last zweier Männer aus Thüringen geschafft hat ist mir unerklärlich.
Die wichtigsten Dokumente zum Dreirad
Scheine und Fahrzeug samt Brief wechseln den Besitzer, ich fahre die zwei Thüringer zum Bahnhof und mir wird erst jetzt langsam klar, daß das Fahrzeug was Besonderes ist. Vorerst muß ich meine Finanzen wieder ordnen, das Bewusstsein für die Seltenheit wächst erst später. Das Dreirad steht in meiner Werkstatt/Garage und den nächsten Winter bei einem Bauern im Nachbardorf. Es sind meine zwei einzigen Fahrten mit dem Dreirad. Hin und zurück. Knatternd vorbei am staunenden dörflichem Publikum. Stolz wie Bolle der Chauffeur. Ich muß das Dreirad geschützt über die Zeiten bringen, bis ich selbst Zeit, Ersatzteile und eine ordentliche Werkstatt habe. Platz finde ich in meinem Keller/Arbeitsräumen, nach Ersatzteilen jeder Art fahnde ich ungezielt und die Werkstatt bekommt endlich eine ordentliche Ausstattung.
Die Wende bringt Wirren zuhauf und noch mehr neue Regeln, als ich mir vorstellen kann. Ich möchte das Dreirad ummelden, damit alles seine Ordnung hat. (Es muß im Sommer bis Winter 90 sein). Mit dem (datumsmäßig "leicht" frisierten) Kaufvertrag mache ich mich auf zur Volkspolizeikreisamt, Abt. Zulassung. Dort ist Konfusion angesagt, weil die Änderung der Strukturen macht, daß die Verwaltung knirscht und chaotisch arbeitet. Mir sei momentan nicht zu helfen, aber falls ich das Fahrzeug stilllegen möchte und das begrenzt auf eine bestimmte Zeit, dann könne mir geholfen werden, so die Aussage der Beamten. Und hier muß ich einen totalen Aussetzer haben: Ich gehe drauf ein, weil ich eh nicht zur Arbeit am Dreirad komme. Der Fahrzeugbrief wandert nach Flensburg zum Kraftfahrt-Bundesamt. Als ich ihn nach einiger Zeit wieder aktivieren will, teilt man mir mit, daß eine bestimmte Frist überschritten und der Brief nicht mehr vorhanden. Damals ein Schock über meine Dussligkeit, heute werte ich das Ganze als banale Episode in meinem Lebenslauf, bestenfalls als Erkenntnisgewinn zum Thema Bürokratie. Der Tempo steht nun viele Jahre, sehr trocken und sicher. Inzwischen habe ich den FRAMO LT restauriert und kenne einen sehr guten Motorenbauer und Kurbelwellenspezialisten gleich hier um die Ecke. Er nimmt sich des ILO-Motors vom TEMPO an, verpasst unter anderem ihm einen neuen Kolben. Die Elektrik daran wird total überholt. Ich überlasse diese Arbeiten einem Fachmann, weil ich nicht genug Zeit habe, mich in diese komplizierte Materie einzuarbeiten. Mein Ehrgeiz ist in dieser Richtung auch begrenzt, wenn ich auf die Menge der anstehenden Karosseriearbeiten sehe.
3 Fotos aus der sicheren und trockenen Werkstatt. Noch ist kein Handschlag gemacht. Das Bild unten hat nichts mit Karossen- Restauration zu tun, aber das Wirrwarr beeindruckt mich stark.
Der Motor wird eingemottet. Die Entscheidung, ihn als erstes Teil zu überholen, erweist sich als richtig, die Preise steigen, der Run auf Edel-Oldtimer als Geldanlage macht, daß die Preise auch für das „Kleinvieh“ steigen. Und macht damit auch nicht vor den Dreirädern und seinen Ersatzteilen halt. Einige Jahre (ich sage es nicht gern, es sind 16) vergehen und es wird Ernst mit mir und dem TEMPO-Kombi. Die Mitgliedschaft im TEMPO Dienst Forum bringt Kontakte und schriftliche Unterlagen zum Thema Technik - es kann losgehen!
Und damit ich nicht ins Blaue hinein berichte, zuvor für die, denen der Kombi nicht so geläufig, einer kleiner Steckbrief zum TEMPO E 200 Kombinationswagen, Bj. 1937.
Fortsetzung folgt - Gerschen
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Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Sa 09 Dez 2023, 09:06
Die letzte Folge endete: … einer kleiner Steckbrief zum TEMPO E 200 Kombinationswagen, Bj. 1937
Um es mit wenigen Worten zu sagen, der Kombinationswagen hat eine selbsttragende Metallkarosse. Es ist kein anderes Material verbaut. Vier Mann an die vier Ecken der Karosse und ab damit aufs Fahrgestell, so könnte man es dem kleinen Max erklären. Eine sehr solide Struktur. Es gibt Schwachstellen wenn man Sicherheitsmaßstäbe anlegt, aber wir haben 1937 und bei Masse x Beschleunigung (vor allem bei der) haperte es.
Der Kombi ist ein Viersitzer mit zwei Türen und einer Heckklappe. Vorn zwei Einzelsitze, hinten eine Sitzbank. Klappbare Vordersitze (zum besseren Einsteigen nach hinten), die hintere Bank nach vorn zweimal klappbar, so daß eine durchgehende ebene Ladefläche von 1,40 Meter x 0,90 Meter im geschlossenen Zustand genutzt werden kann. Die unten angeschlagene Heckklappe wird durch zwei Ketten nach dem Öffnen genau in der Ebene der Ladefläche gehalten, so daß nun insgesamt eine reichlich 2 Meter lange plane Fläche zur Verfügung steht. Da die lichte Öffnung des Hecks mit einer Breite von 0,90 Meter nach oben durch nichts eingeengt ist, kann man Fracht in eben dieser Breite und theoretisch beliebiger Höhe transportieren. Möglich ist das durch die geniale Idee, das Dreirad als Halbcabrio mit festen Seiten, festem Dach über dem Fahrer/Beifahrer und textilem Verdeck über hinterer Bank und Ladefläche zu konzipieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Deutliche optische Trennung bei Nutzung als Familienkutsche mit Cabrioflair und der Nutzung als Transporter. Dazu kommt beim Einsatz eines 200 ccm Motors eine erhebliche Gewichtsersparung vom Stoffdach gegenüber einem Blechdach.
Ein Viersitzer. Das Bild ist ein kleiner Vorgriff, aber ich habe von der Gesamt-Sitzsituation keine „alten“ Bilder
Die Leute bei Vidal & Sohn sind bei der Erstellung der Konzeption zu diesem Kombi von der Annahme ausgegangen, daß die Werktags-Arbeitsmaschine auch zum sonntäglichem Gebrauch nützlich sei. Alle Dreiräder der Konkurrenz haben Kombis. Und meist, weil die Karossen aus Holz sind, mit Verdecken aus Segeltuch und schwenk- und versenkbaren Spriegelsystemen. Das ist bei diesem TEMPO Typ unkompliziert, hier ist ein fahrzeugbreiter Streifen Verdeckstoff an der Hinterkante des Fahrerhausdaches befestigt und zieht sich über Drahtspriegel zum Heck und wird von dort aus gespannt. Im Zustand als „Halbcabrio“ wird das Stoffdach nach vorn gerollt und mittels zweier Riemen befestigt.
Die Quelle dieses Fotos TEMPO-Kombi als Backwarentransporter ist mir nicht bekannt. Es zeigt sehr gut einen speziellen Verwendungszweck. Die Heckklappe ist entfernt, wegen dieser Option ist auch das Kennzeichen tiefer angebracht. Im Foto gut zu sehen das Rollverdeck. So wie es aussieht, ist es in einen Schutzsack gesteckt, bevor angeschnallt wurde.
Zur Benutzung als Transporter sind erfinderische Leute auf die Sache mit dem Klein-Container gekommen. Das oben stehende Bild zeigt einen Backwarentransport mittels Container (Einsetzkasten), der bündig mit der Hinterkante und dem Fahrerhausdach abschließt. Der Kasten verspricht Sauberkeit und Trockenheit des Ladeguts, eventueller Regen kann mittels einer Plane in Kombination mit dem Rollverdeck fern gehalten werden. Erleichtert wird das Beladen des Containers durch das Aushängen und Entfernen der Heckklappe samt Ketten (offene Scharniere mit Splintsicherung, laut Ersatzteilliste sind die Ketten mit Karabinerhaken versehen, also ist das Entfernen der Klappe so vorgesehen). Die Sicht nach hinten bei Beladung ist mit e i n e m Seitenspiegel dann allerdings problematisch. Als Lieferfahrzeug für Bäckereien scheinen sich TEMPO Kombi und Kasten bewährt zu haben, die Firma wirbt in ihren Prospekten mit „Spezialbäckereieinrichtungen“.
Diese Abbildung aus einem Verkaufsprospekt zeigt den Nachfolger vom E 200/400. Die Technik blieb fast dieselbe, leichte Änderungen an der Karosse. Es lohnt sich den Text zu lesen. Wunsch und Wirklichkeit präsentieren sich in diesen Zeilen ungeschminkt. Der „Sonntagswagen“ setzte sich nie so recht durch.
Für die Techniker unter uns. Diese Daten gehören zu meinem Kombi.
Der Beginn.
Ich mache eine Bestandsaufnahme. Und Fotos über Fotos. Es stellt sich heraus, daß trotz Trockenheit und Schutz durch Planen etc. am Fahrzeug Veränderungen eingetreten sind. Rein optisch: Der Lack ist stellenweise gerissen oder befindet sich schon weiter in Schollenbildung. Kleine Roststellen haben sich erweitert. Mitten auf lackierten Flächen wie Türen oder Motorhaube. Der Zustand des Lacks rührt wahrscheinlich von der Verwendung nicht passender Farbsysteme her oder resultiert aus der unsachgemäßen Verwendung von Glasfaser verstärktem Polyesterharz. Mein Eindruck verstärkt sich: Es wurden etliche Materialien ausprobiert ohne zu wissen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Drei Streiflichter zum äußerem Zustand
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Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration So 10 Dez 2023, 08:56
Der letzte Beitrag endete: ... es wurden etliche Materialien ausprobiert ohne zu wissen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
So ist zum Beispiel der Fahrerhaushimmel (das Blechdach innen) mit einem zähen faserverstärktem Material ausgespachtelt. Ob der Wunsch nach weniger Lärm durch Schwingungsdämpfung der Grund dafür ist? Ich kann nur raten. Dieses „Mistzeug“ widersetzt sich später aber nur so lange meinen Säuberungsbemühungen, bis ich in diesem Kampf die Heißluftpistole einsetze. Dann hat es verloren. Aber auch das Aufbringen dieses Spachtels muß sehr mühsam gewesen sein.
Der Himmel ist mit einer ca. 8 mm starken Schwarte Antidröhnspachtel belegt
Ich greife zu „scharfen“ Instrumenten und stelle fest, daß es am ganzen Fahrzeug unter dem Lack Spachtelstellen und weiter darunter Beulen und Verformungen des Blechs liegen, derer man mit viel Spachtel Herr werden wollte. Wenig Rost. Der Eindruck verfestigt sich, das Fahrzeug hatte einen Unfall, der die gesamte rechte Seite von der Motorhaube über A-Säule bis in die rechte Tür in Mitleidenschaft zog. Die A-Säule und die damit verbundene Struktur war fest genug, der eingetragenen Aufprallenenergie standzuhalten, aber durch diesen Widerstand wurden die Kräfte in die Motorhaube geleitet. An den Haubenscharnieren wich das Blech nach oben aus und an allen Haubenflächen rechts und links entstanden Knicke und Beulen.
Knick auf der rechten oberen Fläche der Haube
Unter der Haube: Die Bildbearbeitung und Seitenlicht machen allerhand Schläge und Reparaturversuche mitten auf der Hube sichtbar. Späterer Tummelplatz für Spachtelmassen auf der „schönen“ Seite der Haube.
Das war aber nicht der einzige Schaden. Das Dreirad war wahrscheinlich an etwas sehr Festem entlang geschrammt. Vorbei geschrammt am Halter des Scheinwerfers, diesen leicht verbogen und die Niete gelockert, festgehakt im Spalt der Beifahrertür und anschließend die Türhaut ordentlich zusammengefaltet. Der rechte Scheinwerfer ist eingedellt und in der Verankerung verdreht. Das waagerecht liegende Blech hinter dem Grill ist deformiert und aus der geschweißten Verbindung mit der Haube gerissen. Ein paar Speichen des Grills sind gerissen und verbogen. Alle Blech-Schäden sind repariert, aber eher dilettantisch. Aber das Prinzip: Außen hui, innen pfui - kann man nicht so recht gelten lassen, denn es wurde gewissenhaft repariert, aber eben mit beschränkten Kenntnissen oder untauglichen Möglichkeiten. Und das von nur am Transport Interessierten, keinen Oldtimerfans. Die unten stehenden Fotos zeigen beispielhaft den Zustand nach dem Entfernen des Spachtels und dem mechanischen Entlacken/ Anschleifen. Die Hammerschläge der Ausbeulbemühungen leuchten nun buckelig im Licht meiner Arbeitslampen.
Einige Schäden auf beiden Seiten der Haube
Ich kann mich nicht beschweren, der Gesamt-Eindruck des über achtzig Jahre alten Dreirades ist ordentlich. Alles ist vorhanden. Zumindest gibt es auf den ersten Blick keine verbauten Fremdteile oder Ergänzungen, allein die hinteren Kotflügel sind gekürzt, der charakteristische Entenschwanz-Schwung ist abgeschnitten. Auch hier auf den Kotflügeln Unmengen von Spachtel und darunter Blechverformungen, wie sie bei „Streifschüssen“ oder Kollisionen halt so entstehen. Das macht mir die Entscheidung leichter, wie weit ich bei der Restauration gehen werde: Ich entschließe mich für eine Trennung aller Baugruppen des Dreirades und für eine Grundüberholung der Karosse. Der Zustand der Karosse ist es aber nicht allein, die gesamte Technik scheint oder ist verschlissen, die Elektrik ist mit „Sie“ anzusprechen, der Kühler mit ziemlich viel Ablagerungen zugesetzt. An allen ölhaltigen Stellen tritt Öl oder Fett aus. Und so weiter und sofort. Es steht fest: Das ganze Dreirad wird auseinander genommen. Das stellt für mich erst einmal ein logistisches Problem dar. Das Fahrgestell samt Motor etc. kann in meiner Werkstatt unterkommen, die Karosse gleich nebenan in der ehemaligen Garage. Alle anderen abgeschraubten Teile kommen in den Schuppen im Garten und werden, so der Plan, Stück für Stück bei Bedarf geholt.
Fortsetzung folgt - Gerschen
Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mo 11 Dez 2023, 08:46
Die letzte Folge endete: … abgeschraubten Teile kommen in den Schuppen im Garten und werden, so der Plan, Stück für Stück bei Bedarf geholt.
So ist der Plan, weil es mir aber in den Fingern juckt, tue ich etwas Unsinniges und ich beginne mich mit der Motorhaube und den Türen zu „beschäftigen“.
Die Motorhaube. Die vier Senkkopfschrauben in den Scharnieren lösen und nun „befreit“ steht das wabbelige Blechteil auf den Arbeitstisch. Erste genauere Bestandsaufnahme. Eine der Schrauben ist Talmi, das Gewindeloch ist ausgeschlagen. Im rechten Scharnier sind die Schraublöcher so tief versenkt, daß an einer Stelle kaum noch „Fleisch“ zum Rand vorhanden ist. Zudem zeigt sich ein dünner Haarriss. Spätere Versuche, dort mit Schweißen den Schaden zu beheben, schlagen fehl. Ich mache mir die Freude und baue die Scharnierhälfte auf der Haube aus dem vollen Material nach. Weiter mit der Bestandsaufnahme: Die Steinschlaggitter sind teilweise mit Schweißraupen an der Haube notgeschweißt.
Einzelne Gitterrippen sind notdürftig geschweißt, aber mit dem Rand des Haubenausschnitts - der Rest verbogen oder lose.
Der Bördeldraht im Rand ist ein paar mal gebrochen und dann geschweißt. Das Nummernschild ist im Radius der Haube gebogen und mit zwei Durchgangsschrauben brachial an der Haube gehalten. Die nähere Untersuchung nach Beseitigung des Straßendrecks ergibt, da sind noch zwei abgebrochene Stück Flacheisen vorhanden: Die Reste einer wahrscheinlich originalen Halterung. Denn sie sind recht ordentlich innen an der Haube mit je zwei Nieten befestigt. Diese Arbeit macht sich kein Laie. Die gestauchten Nietenden außen sind sauber verputzt und, wie es sich später herausstellt, auch ordentlich mit rotem Nitro verspachtelt.
Eines der zwei abgebrochenen Blechstreifen, die das Nummernschild gehalten haben. Blick von innen auf die Haubenvorderkante.
Das zur neulich im Forum aufgekommenen Frage, wie das Nummernschild vorn befestigt war. In „meiner“ vorgefundenen Variante werden es zwei Stück Flacheisen gewesen sein, die einzeln für sich oder mit einen Eisen miteinander verbunden, das Schild gehalten haben. Ich entscheide mich später als Ersatz für letztere Ausführung. Das jeweilige Flacheisen muß sich um die Kante nach vorn und unten „schlängeln“, ist aber einfache Biegearbeit. Das Ergebnis: Das Nummernschild wird jetzt nicht v o r der Haube sein, sondern leicht nach vorn unten versetzt. Insgesamt beult die Haube an allen möglichen Stellen. An einer „schnappt“ das Blech sogar ziemlich heftig: Ein Frosch. Es ist klar, daß der aufgebrachte Spachtel damit wenig Verbund mehr zum Blech hat. Mit einem kräftigen Messer in die Spachtelrisse fahren und schon springen schollenförmige Teile ab. An vier, fünf Stellen der gleiche Effekt. Das wird erleichtert durch den freien Stand der Haube auf der Arbeitsplatte, das Blech hat freies Spiel, ist beweglich bis „lapperisch“ nach allen Seiten. Um arbeiten zu können wird die Haube erst einmal mit einem angeschraubten Stück Sperrholz auf Fahrerhausseite unten an den Haubenhebeln stabilisiert, Ruhe ist und dieser Blechkasten ist bearbeitbar.
Bevor ich alle Lackschichten entferne, gebe ich meiner Neugierde nach: Welchen Farbton hatte das TEMPO, als es das Werk verließ? Möglich waren ja die Standard-Farbtöne und Kundenwunsch. An zwei Stellen der Haube schleife ich mit Wasserschleifpapier bis auf das Blech.
Die Fotos der angeschliffenen Stellen zeigen nicht nur die Lackschichten, sondern auch, wie „zerklüftet“ die Blechoberfläche ist. Jede noch so kleine Delle markiert sich deutlich. Alle anderen Farben sind später dazu gekommen.
Schöne Farbspiele, aber beim genauen Hinsehen das gleiche Ergebnis. Unterste Schicht ist der bekannte rote Nitrospachtel, dann über alles eine graue Grundierung und darauf ein dunkles Grün. Wie ich später feststelle, sind Dach und Säulen in einem hellen Wald- und Wiesengrün gehalten. Zweifarbig also war der Kundenwunsch. Nicht zu vergessen, die Kotflügel haben nicht das obligatorische Schwarz, sondern auch das dunkle Grün. Ansonsten sind im Laufe seines „Lebens“ noch diverse Lack-Farben unterschiedlicher Dicke auf das Dreirad gepackt worden. Teilweise so stark, daß z.B. die Halbrundköpfe der Schrauben zur Front(Steinschlag)gitterbefestigung nur als kleine unförmige „Hügel“ zu erkennen sind.
Lack über Lack. Unter diese kleinen „Hügeln“ liegen die Schraubenköpfe der Befestigung der Haubengitter.
Das Mittel meiner Wahl zu Entfernung der Lack- und Spachtelschichten ist die Heißluftpistole in Kombination mit einer Handspachtel aus gehärtetem Stahl. Ich schleife die Schneide leicht an, so daß ich nach dem Erhitzen in einem Ritt einen Lack-Streifen bis aufs Blech abschaben kann. Und so geht das fort, bis fast alle Farb-und Spachtelreste auf der Außenseite entfernt sind. Ich habe mich für diese Herangehensweise entschieden und nicht für das Sandstrahlen, weil die Dicke der Farben sehr unterschiedlich ist und ich die „guten“ Stellen des Blechs schonen möchte. Am Ende meiner Arbeiten werde ich den Sandstrahler bitten, ganz kurz über das Blech zu gehen, damit kleine Spachtel- und Rostreste entfernt werden und die Grundierung soliden Halt findet. Bis dahin behelfe ich mir an den relevanten Stellen damit, einen in Nitro getränkten Lappen auf die roten Spachtelreste zu legen und mit einer ALU-Folie abzudecken. Mache ich der Gesundheit halber im Freien und nach einer Viertelstunde ist das Metall blank und zur Bearbeitung bereit. Mit den kleinen Beulen und Knicken habe ich keine Probleme, mit vorsichtigem Drücken und Klopfen und einem großflächigem plastischem Holzstück als Gegenhalter lassen sich diese verkleinern. Dabei merke ich, daß die Beulen, wie vermutet, im Zusammenhang stehen. Es sind Spannungen in der gesamten Haube, die miteinander „korrespondieren“. Das Interessante ist, daß nach dem Beseitigen zweier Knicke die Beulen in den wenig gespannten Flächen fast von selbst verschwinden. Allein eine schnappende auf der linken Seite kurz vor den Lüftungsschlitzen macht mir Sorgen. Hier ist das Blech über Gebühr gestreckt worden, sogar eine kleine Schweißstelle befindet sich am Rand des Froschs. Die rührt daher, daß das stabilisierende waagerechte Blech (heißt es Ableitblech?) im Inneren der Haube von dieser abgerissen wurde (Unfall). Schweißen sollte das wieder beheben, aber die Situation wurde verschlimmbessert, weil damit die Haube an dieser Stelle einseitig etwas schmaler wurde. Häßliche Angelegenheit.
Diese Schweißstelle ist nicht allein die Wurzel des Froschs, sondern etliche fehlgeschlagene Rettungs-Versuche haben wohl auch zu seiner Größe beigetragen.
Eine angelegte gerade Holzleiste zeigt das Elend.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Di 12 Dez 2023, 09:21
Die letzte Folge endete: Häßliche Angelegenheit.
In meiner Unkenntnis versuche ich mit allen möglichen Mitteln diesen Frosch zu vertreiben. Aber alle erweisen sich wie die meiner Vorgänger als untauglich. Als letztes Mittel kommt ein Schrumpfhammer zum Einsatz. Und tatsächlich bessert sich die Lage, aber die Nähe der verformten und damit stabilen Luft-Schlitze verhindern, daß sich das Blech nach allen Seiten beruhigen kann. Ich frage in meiner Not einen Karosseriebauer und der rät mir zu einer Technik, die ich eigentlich aus meiner Lehrlingszeit kenne und bisher vermieden habe, weil der Einsatz von Hitze und Kälte auch ins Auge gehen kann. Der Frosch muß aber weg. Ich klemme mir die Haube untern Arm und ab damit zu meinem Bruder, der ein Autogen-Schweißgerät hat. Kleinster Brenner angeschraubt, spitze heiße Flamme eingestellt und eine Schüssel mit kaltem Wasser und einen Schwamm bereitgelegt. Auf der höchstens zwanzig Zentimeter langen Fläche erwärme ich ganz schnell das Blech. Punktförmig. Auf Kirschrot und sofort mit Wasser abgeschreckt. Das um ein Dutzend mal im Halbkreis. Ich schleife das Blech der besseren Sicht (Anlassfarben) halber grob an und sehe: Die Fläche ist fast plan und der Frosch knackt nicht mehr. Besser als in meinen kühnsten Erwartungen. Ich bin fasziniert. Und nun um Gottes Willen nicht mehr dran rühren, die Fläche wird später mit Epoxidspachtel geglättet und der Spachtel ist keinen mechanischen Belastungen mehr ausgesetzt. (In der allergrößten Not hätte ich wohl zum Aufbringen von Zinn gegriffen, weil dieses sich innig mit Stahlblech verbindet, aber diese Notlösung ist für mich großes Pfui) Die Beulen an der Haube sind es aber nicht allein. Da sind noch allerhand Baustellen. Die Verstärkungsbleche unter den Scharnieren, den Haubenlagern und dem Haubenhalter in der Mitte sind alle in Mitleidenschaft gezogen. Die Nietköpfe sind ins Blech gezogen, haben ordentliche Krater hinterlassen, sind aber immer noch fest. Die kleinen Löcher sollen später mit Zinn gefüllt werden. Falls ich das Blech nicht mechanisch rein bekomme, mit Epoxid-Spachtel. Allein zwischen den aufgedoppelten Blechen könnte sich Rost bilden. Dem werde ich aber nach dem Lackieren mit Kriechöl einen Riegel vorschieben, auch wenn von Zeit zu Zeit ein Lappen Dienst tun muß.
Das Lager des Halters hat Risse. Schweißen von beiden Seiten als Instandsetzung geht erst nach Entfernen der Niete: Aufbohren, Entrosten, Glätten, Schweißen und wieder neue Niete. Aufwändige Arbeit für solch nichtige Angelegenheit, auch weil die Haube unförmig und schwer zu packen ist. Es fehlt der zweite Mann!
Der eingebördelte Draht in der Haube ist stellenweise gebrochen, aber ich entschließe mich, es dabei zu belassen, denn nach dem Sandstrahlen kann ich sehen, daß das umgestellte Blech an mehreren Stellen bereits geschweißt ist. Das Öffnen dieser geschweißten Bördelstellen würde sehr wahrscheinlich allerhand Materialverluste nach sich ziehen. Kompliziert. Sollte sich der Zustand irgendwann dramatisch verschlechtern, muß ich wohl in den sauren Apfel der Erneuerung beißen. Bleibt an Arbeit nur das Frontgitter zu richten. Als erstes die Schweißstellen öffnen, die Haube und Gitter verbinden und mir fallen drei Blechstege entgegen. Zwei tausche ich aus, denn ich habe eine Menge unterschiedlich breiter Blechstreifen mit 1 mm Stärke als Vorrat und nach ein paar Kantversuchen habe ich völlig identische Stege. Anschweißen, verputzen und nach dem vorsichtigen Sandstrahlen der gesamten Haube wird grundiert mit dem bewährten EP-Grundierfiller. Jetzt erst ist an den Einsatz von Spachtel zu denken. Schräglicht einer Arbeitslampe läßt die minimalen Dellen gut hervortreten. Die oft gestellte Frage was zuerst auf Blech kommt, ist für mich damit beantwortet. Gut sehen kann ich die Mängel erst nach einer einheitlichen Grundierung.
Sieht schlimmer aus als es ist
Die Türen. Abschrauben der ledernen Fangbänder. Austreiben der Scharnierbolzen. Sie sehen noch gut aus. Kaum eingearbeitet oder verrostet. Aushängen der Türen. Auf ihnen ist neben der Originallackierung nur ein zweiter Farbauftrag zu finden. Dafür hat die rechte Tür eine Menge Spachtel abbekommen. Das habe ich vorher übersehen. War gut übertüncht. Beide Türen haben eine eine Türverkleidung aus starkem Sperrholz, das mit Kunstleder belegt ist. Mitten in der Fläche eine Seitentasche. Sie passt mir nicht so recht ins Bild. Ich habe ein Bild eines Kombis eines Kollegen gesehen Keine Tasche. Ich grüble noch heute, ob sie Erfindung des Vorbesitzers ist oder nicht. So wie das Kunstleder der Verkleidung und das der Zugriemen zwischen Lakaikrampe und Schloß. Fangband aus Rindsleder und Kunstleder am Schloß, das geht nicht zusammen. Was wieder zum Kombi passt, das ist der Schloß-Zugriemen an sich. Dadurch wird das Öffnen der Tür von der Rückbank aus erleichtert. Wobei es auch „normale“ Dreiräder mit diesem Zugband gibt oder zumindest den Schloßgriff mit den Langloch-Auge.
Die linke Tür innen im IST-Zustand vor der Restauration.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mi 13 Dez 2023, 07:23
Die letzte Folge endete: …. Wobei es auch „normale“ Dreiräder mit diesem Zugband gibt oder zumindest den Schloßgriff mit den Langloch-Auge.
Wie vermutet, irgendwann ist irgendwas rechts entlang geschrammt und hat sich im Spalt verhakend von oben bis unten die Türhaut gefaltet (Variante: Die Tür stand leicht auf und z.B. die Handbremse war nicht angezogen, Rollen auf ein Hindernis, wer weiß?). Die notdürftig bei der Reparatur gestreckten Falten am Rand sind immer noch zu sehen. Das Problem liegt aber tiefer. Die über den Türrahmen umgestellte Türhaut hat diesen beim Unfall ein Stück mitgenommen, nach hinten geschoben und dann wurden beide getrennt. Damit entstanden Probleme: Die gesamte Türhaut wurde gewölbt, bombiert. Deutlich sichtbar. Und unreparabel, denn die Verbindung zu den inneren Blechen war nicht mehr herstellbar. Die damals einfachste Lösung: Die auseinander gezogene Verbindung mit Schweißen heften, die Bombierung über die Fläche verteilen. Auf dem Foto sind dazu die Hammerschläge zu sehen. All das gefällt mir nicht. Der optische Eindruck der Tür hat was leicht Aufgeblasenes. Im gesunden Original ist die Haut ja nur über das Grundgerüst des Rahmens gelegt, gekantet und umgestellt. Alles ganz einfach. Ein leichter plastischer Eindruck ergibt sich nur durch Spannungen am Rand und die „Verdrehung“ der gesamten Türkonstruktion. Guter Rat ist teuer. Ich gehe wieder zum Spezialisten (sein Arbeitsgebiet ist Prototypenbau einer großen Automarke in Zwickau) und klage mein Leid. Sein Vorschlag ist folgender: Trennen der Türhaut (Foto: Blauer Strich), Abnahme derselben, vorsichtiges Richten des Türgrundgerüsts und stumpfes Schweißen eines neuen Blechs. Danach die übliche Verfahrensweise. Ich „überlasse“ ihm das Schweißen und Anpassen, am Ende habe ich eine fast neue Tür. Nichts ist zu sehen von der Schweißnaht. Spachteleinsatz: Minimal. Die Voraussetzung dafür war aber der Bau einer Lehre, eine Vorrichtung, mit der man nach Abnahme der alten Türhaut durch ständiges Probieren sicher stellen kann, daß die „neue“ Tür nicht flügelig oder sonst wie krumm wird. Sie muß in den alten Türausschnitt zu 100% passen, sonst hätte ich zwei Probleme. Aber! Alles geht gut, „passt, wackelt und hat Luft“.
Rechte Tür. Gut zu sehen ist, daß das Verstärkungsblech unter dem Schloß auch durch die Türhaut gedrückt wurde.
Falten und Bombierung (rote Linie) mit den Verteilversuchen (Hammerschläge) gut zu sehen. An der blauen Linie wird später die Türhaut getrennt und ein neues Blech wieder stumpf angeschweißt.
Einziger Wermutstropfen ist die kleine Hutze unter dem Türgriff, die macht, daß der Griff im richtigen Winkel in der Türhaut steht. Sie ist normalerweise erhaben aus dem Blech gedrückt. Das ist in diesem fertigen Zustand nicht mehr möglich.Bleibt mir nur die Variante, dieses kleine ovale Plateau aus 5 mm Blech zu fertigen und dann an Ort und Stelle mit Weichlot aufzulöten. Bei Weichlot laufe ich nicht Gefahr, wieder Hitze und damit Beulen ins Blech zu bringen. Das Zinn ist gleichzeitig gut für die sauberen Übergänge in die Türhaut. Zu halten hat das Blechteil nichts und den letzten Schliff in den Übergängen bringt Epoxid-Spachtel. Bei den späteren Arbeiten an der Karosse wird sich zeigen, daß die Verwendung von Zinn als Dicht- und Füllmittel zur Produktion dieser Karosse üblich und praktikabel ist. Die Aufdoppelung des Blechs unter dem Schloßkasten praktiziere ich auf die gleiche Weise. Geht nicht anders. Das Sandstrahlen und sofortige Grundieren beider Türen schließt erst einmal dieses Kapitel ab. Sie werden sicher gelagert. Eigentlich wäre jetzt die Heckklappe dran, aber damit warte ich, bis ich weiß, was an den Karosserieenden so alles zu machen gibt und ob es Einfluß auch auf die Klappe hat.
Ich habe Zeit, mein Tagesablauf hat sich geändert, mein Entschluss steht, das ganze Dreirad wird zerlegt, so daß nur die Karosse rein und blank übrig bleibt.
Ich möchte Euch die Erzählung über den ganzen Technikkram ersparen, das ist nichts außergewöhnliches. Alles wird abgebaut, innen und außen. Was bleibt ist die nackte Fahrgastzelle. Jede Menge Fotos und und im kniffeligen Fall Skizzen. Selbst die Seitenfenster und die Frontscheibe kommen raus. Erst vom Moment des Trennens von Karosse und Fahrgestell wird es wieder interessant. Dazu muß man wissen, daß es dazu zwei Verbindungsstellen gibt: Eine mit sechs Verschraubungen zwischen Stirnwand und dem vorderen Bodenblech. Die kennt jeder TEMPO E/A Besitzer. Der Kombi hat zusätzlich über der Hinterachse eine eigene Variante der Karosseriebefestigung. Rechts und links zieht sich innen an die Karosseriekontur anschmiegend (und an dieser vernietet) ein starkes Flacheisen nach unten zur Traverse auf dem zentralen Rohr. Dort abgewinkelt sind die Eisen mit jeweils Schrauben mehr als sicher befestigt.
Der Ladeboden ist schon herausgenommen Über ordentlich dimmensionierte Flacheisen ( 55 x 8 mm Querschnitt) rechts und links an den Seitenwänden werden die Kräfte über zwei M12er Schrauben in die hintere Traverse des Fahrgestells geleitet.
Die Schraubverbindungen hinten und vorn zu lösen ist kein Problem, aber was danach? Ich bin bestimmt nicht mehr in einem Alter, in dem Bücken als Kür gilt, es muß also eine Form des Arbeitens werden, die auf engstem Raum möglich ist und völlige Bewegungsfreiheit zuläßt. Für mich und für die Karosse. Und da muß mich ein Geistesblitz getroffen haben. Wie wäre es, den gesamten Aufbau um eine Achse zu drehen (in unserem Fall die Längsachse). Praktisch: Ein langes stabiles Rohr wird von vorn nach hinten durch die Karosse geschoben, so das die Rohrenden einen guten halben Meter herausschauen. Unter die Enden wird je ein Bock geschoben. Und an den Enden der Karosse wird je ein kräftiges Holzteil mit mittiger Bohrung (das lange Rohr muß leicht einzufädeln sein) mit der Karosse verschraubt. Also: Das Rohr einfädeln, unter die Enden die Böcke und auf diese fixieren, den Unterbau/ Fahrgestell weg und schon „schwebt“ der ganze Aufbau. Und weil dumm Glück hat und ich das lange Rohr durch die ovale Aussparung des Armaturenbretts geschoben habe, ist sogar fast der Schwerpunkt getroffen. Ich kann die Karosse um ihre Längsachse drehen und es gibt keine „Unwucht“, in jeder Stellung bleibt sie stehen. Es wird ein wunderbares Arbeiten ohne Rückenschmerzen. Das Unangenehme der Situation: Ich sehe jede Stelle mit Rost, jede Schlamperei und überhaupt Dinge, die mir Kopfzerbrechen machen, aus einer neuen Perspektive und ganz nah.
Das ist ein Vorgriff in meinem Bericht, aber so ist meine Hilfsvorrichtung gut zu erkennen. (Die Pfeile:) Blau das Wasserrohr als Achse, Grün der hintere Ständer und Rot die Lagerkonstruktion. Alles sehr simpel. Gut zu sehen auch das rechte Flacheisen (braun), das sich von oben (Profil Fensterunterkante) herunter zum Hilfsrahmen und zur hinteren Quertraverse zieht. Es fällt mir beim Betrachten des Fotos auf. Im Scheinwerferlicht reflektieren die Reparaturbemühungen (Hammerschläge) auf der linken hinteren Fläche ( gelber Kreis).
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 14 Dez 2023, 07:50
Die letzte Folge endete: ... überhaupt Dinge, die mir Kopfzerbrechen machen, aus einer neuen Perspektive und ganz nah.
Mein Bericht ist linear aufgebaut, geht ja nicht anders, die Arbeiten am Objekt aber folgen bestenfalls nebeneinander, manchmal zeitlich sehr versetzt. Würde ich so beschreiben, wie ich gearbeitet habe, dann würde keiner mehr durchsehen, Chaos pur.
Es gibt also Arbeiten, die ich schon gut machen kann, bevor das ganze Dreirad auseinander genommen und die Karosse „nackt“ ist. Dazu gehören der gesamte Boden, die Fenster ringsum, Sitze und Ausstattung und das Verdeck. Über diese Gruppen werde ich einzeln schreiben, weil damit auch das Verständnis des Kombis besser werden könnte.
Das Verdeck.
Wie schon auf den ersten Bildern zu sehen war: Der Stoff überlappt den oberen Rahmen und die Heckklappe. Zu sehen noch oben die linke Lakaikrampe, durch die der Riemen läuft, mit dem das gerollte Verdeck fixiert wird. Der andere Pfeil zeigt den linken Verschluß, mit dem das Verdeck gespannt und gehalten wird.
Der Verdeckstoff steckt unter dem Ende des Metalldaches und wird von unten zwischen einer Holzleiste und dem Blech eingeklemmt. Der Pfeil zeigt die Stelle, von der an der Stoff zwischen Dachblech und einer Holzleiste innen eingeklemmt wird. Ob das so 100% dicht wird?
Baumwollgewebe, leicht verschlissen
Der rückwärtige Ausblick. Eine Kombination aus ALU und Echtglas. Auf keinen Fall original. Dazu in der Ersatzteilliste: Cellonscheibe, 530 x 150 x 0,5 mm. Dieser Eintrag weist mit 0,5 mm darauf hin, daß Cellon eingenäht werden konnte. Welche Form das Fenster hatte, konnte ich noch nicht feststellen. Auf jeden Fall hatte es keinen ALU-Rahmen, sondern wurde wahrscheinlich ganz einfach eingenäht. Interessant ist der Kunststoff Cellon (Celluloseacetat), weil leicht brennbar.
Nach dem Ausbau des Stoffverdecks merke ich, wie leicht das Gewebe ist und wie geschickt der Schnitt gelegt und das Nähen ausgeführt ist. „Mein“ Sattler hat gute Arbeit geleistet und er hatte ein flexibles Material gewählt, denn er hat durch Strecken und Stauchen an den richtigen Stellen ein leicht plastisch verformtes Schutzdach hergestellt. Mit den heutigen Materialien für Kabrios mit Mehrfachgummierung hätte er sich schwer getan, weil diese zwar 100% Wasser undurchlässig ist, aber eben auch sehr steif. Das ist nichts für unseren Kombi.
Falls ein Leser eine Bezugsquelle eines geschmeidigeren Verdeckstoff kennt: BITTE LAUT MELDEN! Kann es sein, daß man nur ein sehr gut ausgerüstetes Segeltuch genommen hat? Ich muß mich mal in der Militär-Szene umhören, da gibt es ja jede Menge z.B. Jeeps, UAZ etc. mit Verdeck. Oder einen Bootstoff? Ich sehe, das wird eine Fahrt in den Norden an die Seen. Ich habe auf Fotos neue TEMPO-Verdecke gesehen, bei denen der Sattler aus Verzweiflung Abnäher ins Material machte, nur um der Form der Karosserie nachgehen zu können. Nicht schön, wenn der Abnäher auch noch gerade und nicht gekrümmt ausgeführt wurde und sich markiert. Wie auch immer, das Verdeck ist heute (Dez. 23) immer noch nicht durch ein neues ersetzt. Zum Einen habe ich es satt, dem seltenen Handwerk hinterher zu laufen und zweitens einen Preis zu zahlen, der im Verhältnis zum Gesamtdreirad exorbitant ist. Aber! Kommt Zeit, kommt Rat. Die Drahtspriegel muß es laut Liste in zwei Ausführungen gegeben haben, einmal im Stoff (Tunnel) eingenäht und einmal lose als 6 Stück, die vor Gebrauch des Verdecks einfach in die Löcher des gebogten Rahmenteils eingesteckt wurden. Das Meine wird die Variante der losen Drähte sein, denn sie sind, weil unterschiedlich lang, mit Schlagzahlen gekennzeichnet in der Reihenfolge.
6 Federstahlspriegel.
Solche Mühe hat man sich gemacht, um Ordnung zu schaffen.
Das Verdeckende. Ein Spannschloß (Schnellspannzwinge) auf jeder Seite. Eingenäht eine Metallstange, sie sorgt für gleichmäßige Verteilung der Kräfte.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Fr 15 Dez 2023, 07:50
Der letzte Beitrag endete: ... weil unterschiedlich lang, mit Schlagzahlen gekennzeichnet in der Reihenfolge.
Die Fenster
Daß die Fenster mir einmal so viel Mühe machen werden, daß hätte ich bei ihrer Demontage nicht gedacht. Aber der Reihe nach. Bei einer der Umräumarbeiten im Laufe der Jahre ist mir aus Dussligkeit ein schweres Kantholz genau in die Frontscheibe gefallen. Mörderliches Fluchen meinerseits, das aber in der gleichen Geschwindigkeit verebbt wie die Erkenntnis wächst: Ultimativer Test - Kein Sicherheitsglas. Nachschlagen im ET-Katalog, hier steht Sicherheitsglas, an anderer Stelle SEKURIT. Das Kantholz hat also gute Arbeit geleistet und mir vielleicht bei der DEKRA Ausreden erspart.
Das Bild zum Glasbruch.
Die Reste des 5 mm-Glases sind tatsächlich scharf und wie Säbel geformt. Nix für meinen Hals im Notfall. Ich entferne die Reste sehr mühsam aus dem Gummiprofil und merke dabei, daß sie an diesem kleben und es beim Herausziehen zerreißen. Mürbe und krümelig, es wäre nichts geworden mit Wiederverwendung. Dadurch macht sich das Entfernen des Gummis sehr schlecht. Neuen kann man ziehend entfernen, hier muß man mit einem stumpfen Stechbeitel ran und weil es sehr schlecht geht, muß der ALU-Rahmen zuerst aus dem Fensterausschnitt. Und hier ist das TEMPO Reparatur Handbuch von Nutzen. Bei der Montage des Fensters wird dieses komplett gegen den Ausschnitt gepresst und die Blechfahne des ALU-Profils, das jetzt ins Fahrzeuginnere zeigt, um eine Blechkante „gedengelt“. Die vorhandene Verwendung von zerbrochenem simplen Fensterglas weißt darauf hin, daß das ALU-Profil schon mindestens zweimal zu und einmal aufgebogen wurde. So sieht es auch aus. Hammerspuren, kleine Risse. Der Letzte, der hier das Fenster eingesetzt und gebogen hat war ein Pfiffiger. Er hat schon damals den geschwächten Zustand des ALU-Profils erkannt und es nur in den vier Radien vorsichtig nach innen umgestellt. Den fehlenden Anpressdruck mußte ein Dichtmittel „ausbügeln“. Vorsichtig biege ich die vier Stellen wieder auf und bin froh, kein Stück vom ALU ausgebrochen zu haben. Und so soll es bleiben, denn das ALU Profil kann ich mir nicht mehr beschaffen, aussichtslos. Und es wäre für die frontale Ästhetik schade. Der schmale ALU-Streifen um die Scheibe vor grünen Lackgrund ist schon ein „Hingucker“.
Der blaue Pfeil zeigt schematisch den plan gerichteten Teil des ALU-Frontscheibenrahmens . Der rote zeigt, wie sich der Rahmen im umgestellten Zustand hinter dem Fensterausschnitt „verkeilt“.
Auf solch ein gutes Aussehen ist zu achten!
Ich weiß auch schon, wie ich den ALU-Rahmen mit der Karosserie verbinde: Kleben wird die Lösung sein (z.B. PETEC K+D Karosseriekleber, mit ihm arbeite ich öfters). Das hat Vorteile: Ich muß keine Flach-Gummidichtung verwenden. Kein hoher Anpressdruck zum Ausgleichen von Dellen etc. ist notwendig. Es wird dicht! Und fest. Und das Wichtigste: Die Scheibe bleibt spannungsfrei. Ich kann ESG (Einscheibensicherheitsglas) verwenden. Zur Sicherheit werde ich durch den ALU-Rahmen ringsum ein paar Blechschrauben setzen. Und nun ein Problem, das jeder kennt, der sich um neue Scheiben bemüht. Es gibt Glaser, die jede Dicke, jede Form, jede Kantenbearbeitung machen, in ESG. Aber! Das Aber liegt im fehlenden Zertifikat, äußerlich als kleines Logo auf der Scheibe zu finden. Und es gibt spezialisierte Firmen, die das gleiche machen, aber mit Zertifikat. Es mögen dabei auch andere Qualitäten und Technologien mitspielen, das Entscheidende ist der horrende Preisunterschied. Über dieses Thema muß sich jeder selbst informieren, ich werde die Quelle meiner Scheiben im Dunkeln halten. Weiter an meinen Fenstern. Das Glas der beiden Scheiben in den Türen ist von der selben Sorte: Einfaches Fensterglas. Ich kann das sehen, weil nachträglich mit irgendeinem Schleifmittel an den Kanten hantiert wurde. Das würde ESG nicht mitmachen und ungünstigstenfalls sich zerlegen. Interessanter sind die zwei hinteren feststehenden Fenster. Nach meinen Arbeiten an diesen Fenstern würde ich sagen: Wer im TEMPO-Werk besonders pfiffig und geschickt war oder wer was ausgefressen hatte, der mußte hier ran. Arbeit für Leute mit starken Nerven. Die Beschreibung unten soll das erklären. Die metallenen Fensterausschnitte der Karosse sind alle tiptop. Kein Schaden oder etwas ähnliches. Als ich später mir genaue Schablonen aus Pappe von ihnen mache, gelange ich zur Erkenntnis: Große Unterschiede in Form und Maß (bis zu 15 mm). Die Umstände der Produktion bei TEMPO im Jahr 1937 müssen ähnlich denen gewesen sein, als ich 1962 als Schlosserlehrling im VEB NEMA Netzschkau meinen Beruf als Betriebsschlosser lernte. Handwerk, wo man hinsah: Handwerk. Passt ein Blech nicht, wird es passend gemacht. Nichts Verwerfliches, aber letzten Endes ein Fertigen von Unikaten. So auch „meine“ Fenster. Ich habe als nächstes Bild eine schematische Darstellung des Fensteraufbaus zum besseren Verständnis gezeichnet.
Aufbauschema der Dichtung rings um die feststehenden Seitenfenster
Eigentlich alles ganz ganz einfach. Die Scheibenkanten werden mit einem U-Gummiprofil umhüllt. Dieses in den Ecken auf Gehrung geklebt. Dieses Paket wird wieder in ein stählernes U-Profil geschoben und dieses mit zwei Schräubchen geschlossen. Um das stählerne U—Profil wird wiederum ein Doppelfahnenprofil aus Vollgummi gelegt und aufgeklebt. Und nun ist das Ganze einbaufertig. Fast! Denn aus dem U-Stahlrahmen ragen unten zwei kleine Bolzen (so um 8 mm lang, Durchmesser 6 mm). Im entsprechenden Fensterausschnitt unten zwei Bohrungen, oben eine mittig, Nun kann ich das Fensterpaket unten mit den Bolzenenden einfädeln und es nach oben und vorn drücken, bis es in der gewünschten Ebene liegt. So weit so gut. Das sind meine Erkenntnisse, die ich für die umgekehrte Reihenfolge beim Ausbau erhalte.
Eigentlich ist alles ganz einfach. Und von innen nach außen. Das Glas. Das Zuschneiden des Glases. Nach einer Schablone. Zuvor muß man aber wissen, welche Stärke das Gummiprofil hat und ob dieses zusammen mit dem Glas gut ins U-Profil passt. Das Glas selbst hat Aussparungen am Rand und ist dadurch nicht ganz einfach. Dies voraussehend mache ich probehalber maßlich passend eine Scheibe aus Sperrholz und versuche sie mit dem Gummi ins Profil zu schieben. Und weil ich schlau bin, reibe ich den Gummi und U-Profil mit Gleitmittel (Klempnerbedarf) ein. Händisch schaffe ich 10 cm, mit Schlägen des Gummihammers (und das sehr heftig), erreiche ich das Ziel. Wird wohl an den vielen Rostnarben im Profil liegen, die zwar lackiert sind, aber trotzdem den Gummi hemmen. So die Probe. Und nun denke ich mit Schrecken an die Verwendung von Echtglas. Ich kann es mir nicht leisten, auch nur eine Scheibe aus Echtglas zu zerschlagen. Was tun? Und hier ein schon lange schwelender Gedanke. Warum nicht Kunststoff verwenden. In meinem Fall Polykarbonat, Scheiben gibt es in jeder Stärke, oberflächenvergütet. Auf der ganzen Linie Vorteile: Fast halbes Gewicht (ich denke immer an das 200 ccm Motörchen), ich kann es selbst zuschneiden, die Oberflächenqualität ist sehr gut. Von meiner Entscheidung an, es mit Kunststoff zu versuchen, geht natürlich nicht alles wie von selbst. Welcher Kleber paßt zu welchem Gummi, Sekundenkleber- oder Polyurethanbasis?
Das Doppelfahnenprofil gibt es, aber nicht mehr passend in Maß und Form.
Aus dem Doppelfahnenprofil wird ein einfaches. Ich benötige eine Menge Gleitmittel, aber irgendwann treibe ich mit derben Schlägen der flachen Hand und mit einem weichen Gummihammer das ganze Paket in den Fensterausschnitt und freue mich kindisch, daß ich mit einem kleinem Schräubchen das ganze Machwerk fixieren kann. Ein sauberes Handtuch in der Hand verreibe ich die Reste des Gleitmittels, meinen eigenen Dreck und ganz entspannt schaue ich auf mein Werk. — Und ganz oben zwischen Blechausscnitt und erstem Gummiprofil kann ich durch einen Spalt das Licht meiner Deckenlampen sehen. Trotz des Pressdrucks, trotz aller Schläge mit dem Hammer - es wird nicht dicht. Seis drum, das Karosseriedichtmittel von PETEC haftet auf fast allen Materialien und wird auch hier seine Arbeit tun und dichten. Den Grund für mein Scheitern sehe ich im Fehlen eines sehr weichen und entsprechend dicken Gummiprofils. Leider ist die längste Internet-Suche ohne Erfolg geblieben.
Und eines fällt mir bei dieser Gelegenheit auf. Der Anspruch an Perfektion, an Genauigkeit und Gründlichkeit ist in unserer Zeit verdammt hoch, höher als bei unseren Altvorderen, aber bei ihnen galt auch: So genau wie nötig und nicht wie möglich. Ich kann und will mit meiner Restauration nicht besser sein als das Original, obwohl die TEMPO Ingenieure sich bei den Fenstern nichts Gescheites haben einfallen lassen und es mir in den Fingern juckt. Aber! Durch die Fenster kann man schauen, sie sind dicht. Ich habe mich so weit als möglich dem Erst-Zustand genähert und nun ist es gut!
Fortsetzung folgt - Gerschen
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Sa 16 Dez 2023, 07:48
Der letzte Beitrag endete: … Ich habe mich so weit als möglich dem Erst-Zustand genähert und nun ist es gut!
Ausstattung und Sitze
Über Ausstattung zu berichten ist wohl sehr hoch gegriffen, denn das Kombi-Fahrerhaus ist identisch mit allen anderen Ausführungen. Allein das Beziehen der Türverkleidung mit Kunstleder scheint was „Kombitypisches“ zu sein. Aber belegen kann ich das nicht. Es erschließt sich nur daraus, daß der Raum hinter den Vordersitzen auf jedem Fall sicherheitsmäßig entschärft und etwas „wohnlich“ eingerichtet werden mußte. Die B-Säulen haben nach innen scharfkantiges Blech, das Gleiche bei dem in Kopfhöhe von der A-Säule bis zur Heckklappe verlaufendem Profil. Hier ist man auf eine simple Lösung gekommen. In diesen Zwischenräumen stecken Holzstücke, die mit Kunstleder „veredelt“, überzogen, wurden.
Das Foto zeigt die Situation an der A-Säule und dem linken Türausschnitt innen. Die Füllklötze aus Holz mit Kunstlederbezug in der passenden Farbe reichen bis hinten ins Heck.
Deshalb auch der wahrscheinliche Einsatz vom Kunstleder auf den Türverkleidungen. Das macht ein gediegeneres Bild. Belegt wird das durch logisch platzierte (und noch vorhandene) Löcher in den Blech-Profilen, durch die die Füllklötze mit Schrauben an ihrem Sitz gehalten werden. Allein beide B-Säulen haben innen eine Holzfüllung, die sehr passend eingefügt wurde und aus Laubholz gefertigt ist, das eine gewisse Festigkeit garantiert. Die Gründe dafür liegen in der Belastung durch die Einleitung der Kräfte über die Türscharniere und der Fangbänder. Zudem sind die Winkelprofile zum Heck an einen Flansch des Säulen-U-Profils stumpf geschweißt. Die B-Säule ist deshalb mit mehreren Durchgangsschrauben zu einer kompakten „Kraftsäule“ ausgebildet. Einen Kunstlederüberzug gibt s hier nicht, das hätte Schwächung bedeutet. Die Säulenfüllung ist deshalb im Kunstlederfarbton lackiert.
Blick vom Heck ins Fahrzeug. Die Sitze sind herausgenommen. Es sind allerhand Pfeile zu erklären. Rot: Füllungen aus Holz mit Kunstlederüberzug. Blau: Profilleisten aus Holz, mit Kunstleder überzogen. Sie werden mit Linsensenkkopfschrauben (M6) in vorbereiteten Gewindebohrungen befestigt. Grün: Pass-Füllungen in den B-Säulen. Oranges Kreuz: Kunstlederkaschierte Flächen. Magenta Ellipse: Fußloch, Durchbruch durch die Stirnwand
Bleiben die Blechflächen innen an den hinteren Seitenwänden (Laderaum). Bei meinem Kombi sind die Bleche mit Kunstleder kaschiert. Es ist ein Produkt der Nachkriegszeit, vermutlich aus der DDR. 1937 wäre ein Einsatz auch möglich gewesen, da es bereits eine Anzahl von Kunstledern auf Synthesekautschukbasis gab. Das Kaschieren des Blechs kommt mir so selbstverständlich vor, weil alle Ansprüche an Veredlung und Schutz damit erfüllt sind. Was für Möglichkeiten einer Verkleidung hätte sonst in Frage kommen können? Eine Pressstoff- oder Sperrholzverkleidung? Es gibt umlaufend keine geeigneten Kanten oder Flächen, auf die man ohne Not eine Verkleidung hätte schrauben oder stecken können. Dagegen spricht auch, daß ich keinerlei Bohrungen an den relevanten Stellen mit oder ohne Gewinde an meinem Kombi gefunden habe. Ich bin unsicher, deshalb kontaktiere ich zwei Kollegen. Das Ergebnis: Einer bastelt eine Verkleidungspappe ins Dreirad, der andere läßt den vorgefundenen Zustand. Das Erste baue ich provisorisch nach, seine Befestigung befriedigt mich nicht. Nun kann ich unbesorgt „mein Ding“ machen. Eine Änderung bei neuen Erkenntnissen ist jederzeit möglich.
Das Abreißen geht ruck-zuck vonstatten.
Das Kunstleder ist weg, es tauchen rechts und links seltsame Bleche auf. Man kann Bordwandschrauben mit Schlitz im Halbkreis sehen: Kotflügelbefestigung. Zu den „seltsamen“ Blechen muß leider ein großes Kapitel folgen.
Die Sitze
Sein Metier hat der Sattler schon verstanden: Flache Sitzpfeifen in zwei Farben. Muß eine Menge Arbeit gemacht haben. Blau-Grün ist meist eine aparte Farbkombination, aber in diesem Dreirad hat sie nicht zu suchen. Im Original wird es sehr viel einfacher zugegangen sein. Glatt und Schwarz. Der Preis wollte es so.
Blick von rechts ins Fahrzeug. Sitze und Bodenbretter sind herausgenommen. An den Enden des Winkeleisens (blaue Pfeile) sind Flacheisen mit Bohrung. Der Unterbau der Sitze hat rechts und links ebenfalls eine. Durch diese Bohrungen wird ein Bolzen geschoben. Um diesen Drehpunkt ist der Sitz ist nun nach vorn kippbar und sicher arretiert. Der grüne Pfeil deutet auf die hintere Abstützung der Sitze. Das Teil ist gebastelt. Was war der originale Zustand ?
So wird der klappbare Vordersitz gehalten. Ein Bolzen mit Kopf und zusätzlichem Bund wird durch das Flacheisenlager ins Stuhlgestell geschoben. In der „Rille“ des Bolzens liegt ein kurzer Lederriemen mit Schnalle, hält ihn an Ort und Stelle. „Lustige“ und praktikable Lösung. Stellt Euch das bei einem PKW Baujahr 2000 vor. Schon ideell unmöglich.
Das war ein kleiner Schlenker ins Kuriose. Aber dabei nicht vergessen, diese Konstruktionen sind sicher. Sicher ist auch die hintere Sitzbank. Beim ersten Herausnehmen fällt mir ihr Gewicht auf. Ist auch kein Wunder, die Holzrahmen von Sitz und Rücklehne sind ordentlich dimensioniert. Und die Beschläge noch mehr als das. Das technische Prinzip ist einfach. Unter den Holzrahmen des Sitzes angeschraubt liegen rechts und links zwei Flacheisen. Genau an der Sitzvorderkante haben sie ein Auge, durch das ein Bolzen geschoben werden kann. Nach hinten ein Scharnier, das zu Beschreiben mir schwerfällt. Das Foto bringt es. Die Funktionen: Nach vorn Klappen der Rückenlehne und Anschlag der Lehne nach hinten. Alles schwer. Teilweise geschmiedet. Die gesamte Sitzbank liegt auf dem Frachtboden auf. Dessen vordere Begrenzung ist auch Vorderkante des Sitzes. Die zwei beschriebenen Augen unterhalb des Sitzes ergänzen sich mit zwei festen Beschlägen vor dem Frsachtboden zu Scharnieren. Je ein Gewindebolzen und das Sitz-Paket läßt sich nach vorn klappen.
Die Sitzinnereien sind noch gut, die Beschläge werden gestrahlt und lackiert. Ein mir bekannter Raumausstatter legt Hand an den neuen Kunstleder-Bezug. Sitz und Besitzer strahlen danach.
Kippbeschlag mit mit ordentlichem Eigen-Gewicht, „aus dem Ganzen gefeilt“.
Die Hintersitzlehne hat eine Unart: Bei scharfen Bremsen klappt sie nach vorn. Wie sie original gebändigt wurde weiß ich nicht. Ich habe mir auf den Lehnenrücken eine Aufsatz-Messingkugel geschraubt. Über sie kann ich ein Lederband legen und so arretieren. Wer weiß wie es original war?
Im Text des anfangs gezeigten Firmenprospekts steht: … Durch das Entfernen der hinteren Sitze aus dem Kombinationsaufbau wird eine geräumige Ladefläche geschaffen. … Und an dieser Aussage ist nichts verkehrt. Leider hat man nicht den guten Rat dazu gegeben: …und man spart die Hälfte Sprit, denn der Sitz ist sauschwer.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration So 17 Dez 2023, 08:12
Der letzte Beitrag endete: Und an dieser Aussage ist nichts verkehrt. Leider hat man nicht den guten Rat dazu gegeben: …und man spart die Hälfte Sprit, denn der Sitz ist sauschwer.
Der Boden
Das Kapitel Boden kann ich kurz halten. Von der Stirnwand bis etwas hinter der B-Säule ist der Boden identisch mit anderen Ausführungen: Angeschraubte gespundete zollige Bretter. 20 Zentimeter hinter der B-Säule macht der Boden beim Kombi einen „Sprung“ nach oben zum Ladebodenniveau. Ein kräftiges Brett als Setzstufe ist hier eingesetzt. Es erfüllt mehrere Funktionen. Zum Einen sind an ihm die kurzen Bänder der Sitzbank angeschraubt, zum Anderen verläßt hier das Mittelrohr des Fahrgestells samt Bremsgestänge die Kabine. Das Querbrett ist in diesem Fall der Nagelgrund für Dichtmanschetten aus Kunstleder auf beiden Seiten des Bretts.
Blick aus Sicht des Fahrersitzes auf die Setzstufe zum erhöhten Ladeboden, Kunstleder „Dichtungen“ angenagelt, hinter dem Spalt oben liegt der Zugang zum zusätzlichem Stauraum
Auf Niveau Oberkante Setzstufe zieht sich auf beiden Seiten des Frachtraums ein Stahlwinkel zum Heck. Er ist Teil der Struktur und auf ihm liegt die Bretterfläche des Ladebodens. Eine stabile Angelegenheit. So ist alles logisch zusammen gestellt. An meinem Objekt sind jedoch „Veränderungen“, von den ich nicht weiß, wozu. Unter dem hinteren Sitz ist ein Doppelboden. Der Aufwand, ihn unter den Sitz zu praktizieren, ist groß. Er steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Es sei denn, man hält das Unterbringen von Werkzeug und Kleinkram für extrem notwendig. Reserveplatz gäbe es da auch unter dem rechten Vordersitz. Also, dieser Raum bringt ansonsten nur Nachteile: Die Rückbank ist nicht kippbar (im vorliegenden Fall wird sie mit zwei dünnen Riemchen am Platz gehalten) und beim Benötigen von Werkzeug im Wege.
Die gleiche Situation, nur von hinten gesehen. Der Schraubenzieher liegt im „Werkzeugkasten“. Der Holzdeckel ist abgenommen.
Um an den Doppelboden zu kommen, muß jedes Mal die Bank weggeschoben werden (Heben geht in dieser verzwickten Situation kaum). Der Doppelboden liegt genau im Bereich Spritzwasser und ist schwer abzudichten. Eine Entscheidung ist fällig, bleibt das komplizierte Teil oder nicht. Ich verlasse mich auf die Logik der Fahrzeugbauer: Einfach mit hoher Effizienz muß es sein, reparabel für jedermann. Das Zünglein an der Waage zu meiner Entscheidung ist die dilettantische und zugleich aufwändige Bauweise des Ganzen: Ich werde den Doppelboden entfernen. Damit ist der Weg frei für weitere Arbeiten. Ein Bild der gleichen Situation. Der Ladeboden besteht aus einer 3-Schichtplatte aus Fichte. Die Fugen zwischen den Brettern imitiere ich durch Sägeschnitte. Grund dafür sind die unklaren Bohrungsabstände im Träger Winkeleisen. Lackiert ist es von einer gespundeten Fläche nicht zu unterscheiden.
Schöne Ladefläche
Probehalber mal den Rücksitz eingelegt.
Endzustand: Links im Bild die rechte lackierte B-Säule Mit zwei Schloßschrauben ist der untere Scharnierbeschlag (oder -Band?) an der Setzstufe befestigt. Das zylindrische Auge der Rückbank ist wieder ans Flacheisengestell der Bank angeschweißt. Beide verbindet ein Gewindebolzen. Ist er entfernt, kann die gamze Rückbank herausgenommen werden. Ansonsten dient er als Drehachse beim Kippen.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mo 18 Dez 2023, 07:55
Der letzte Beitrag endete: Lackiert ist es von einer gespundeten Fläche nicht zu unterscheiden.
Blecharbeiten an der Karosse
Wenn ich recht überlege, bis jetzt habe ich einen mehr oder minder eleganten Bogen um die wirklich wichtigen Arbeiten gemacht. Jetzt geht es zur Sache und ich fange klein an: Mit dem Fußloch des Vorbesitzers in der Stirnwand. Als ersten Schritt überlege ich mir, ob ich das Loch schließe oder die Situation mit Ledersack so lasse. Letzteres erscheint mir ein billiger Effekt beim späteren Vorzeigen eines Gruselfaktors und auch nicht sonderlich pietätvoll. Wäre was anderes in einem Museum, das sich mit pfiffigen Lösungen zur besseren Handhabung von vorhandener Technik beschäftigt.
Die Stirnwand ist nackt. Das heißt, nicht so ganz.
Alles ist dokumentiert und abgeschraubt. Da ist nur eine Teer- oder Bitumenpappe. An manchen Stellen hat sie große Löcher oder ist abgerissen. Ihre Funktion wird im Ersatzteilkatalog mit Schalldämpferpappe klar beschrieben. Ob sie es auch ist, das wissen die Götter. Auf jeden Fall muss sie runter (und später wieder ran). Es ist relativ leicht, die erwärmte Pappe abzuziehen, dafür mühsamer, die Klebereste mit Benzin zu entfernen.
Zwei Fotos vom Loch. Auf dem oberen ist zu sehen, daß mit der Flamme gearbeitet werden muß, sonst wird das Zurückbiegen mühsam. Auf dem zweiten schon Risse als Markierung fürs spätere Flexen. Möglichst gerade und rechtwinklig muß ich arbeiten. Die Mühe fummelnder Anpassung will ich mir sparen, denn ich kann nur von einer Seite schweißen und dazu muß der Spalt zum nachgefertigten Einsatzblech klein sein.
An allen anderen Stellen öffne ich das umgelegte Blech oder begradige es. Das betrifft auch Teile der A-Säule bzw. des Fußbleches. Ich fertige eine Pappschablone und danach ein passendes Blech und meine erste Treibarbeit an diesem Dreirad nimmt ihren Lauf. Letzten Endes habe ich nach Versuchen das passende Einsatzblech in der Hand, fixiere es mit Magneten und setze ein paar Schweißpunkte. Der Rest ist das Übliche, noch etwas die Wölbungen angleichen und nach dem Lackieren sieht es gut aus.
Passendes Blech
Eine spätere Aufnahme. Die krakelige Schweißnaht ist zu sehen, aber sie hält.
Die gleiche Stelle. „Etwas“ später. Die neue Pappe legt sich als mildtätige Schicht über mein Tun, die Hupe tut ein Übriges.
Also „vorn, unten herum“ ist wieder alles O.K. Da kann ich mir endlich die zwei seltsamen Bleche auf der Höhe der Hinterräder ansehen.
Von innen, fast wie geleckt. Der gute Eindruck wird unterstützt durch Rostschutzfarbe. So läßt man sich täuschen.
Blick von außen. Das Karossenblech um die Kotflügelsschrauben ist von zahllosen Hammerschlägen markiert und mit einer sehr ordentlichen Spachtelschicht überzogen. Und weil ich von innen und dank meiner Drehvorrichtung auch von unten mir so recht keinen Reim machen kann: Die Kotflügel müssen abgeschraubt werden. Gesagt getan. Ich habe die letzten Muttern noch nicht gelöst, da merke ich Bewegung im Blech. Ich tippe auf frei werdende Spannungen, die durch die Entlastung der offenen Schrauben nun frei werden. Und genau so ist es. Ich halte die Kotflügel nun einfach an das Blech. Anders als unter Zwang kann man sie nicht an Ort und Stelle halten. Und für alle Fälle darüber eine dicke Kederwulst. Zu viele Beulen im Seitenteil. Die Kotflügel haben die Funktion eines Stabilisierungsbleches oder -Rippe übernommen. Der Straßendreck wird entfernt. Das Bild dahinter ist beunruhigend. Verrostet und teilweise vom Straßendreck abgeschmirgelt eine sehr seltsame Mischung aus Schweißstellen, Beulen und umgebördeltem Blech. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich von diesem Moment keine Fotos vom Dreirad außen habe. Nur dieses unten, das ich aufgepäppelt habe.
Rechte Seite hinten. Meine grüne Linie begleitet die lange häßliche Verletzung des Blechs mit Schweißnähten, Durchrostungen und abgefallenen Blechstreifen obwohl von innen nichts zu sehen ist. (Siehe ob. Foto)
Aber auf ihm kann man auch sehen, daß ein „fremdes“ Blech verarbeitet wurde. Das Tun und Treiben der Vorbesitzer reime ich mir folgender Maßen zusammen: Die hinteren Seitenbleche sind original auf einfachste Weise zu einer Karosse zusammen gefügt. Im unteren Bereich (von der B-Säule bis zum Heck) wird das Blech einfach um die Kante eines Winkeleisens zweimal gelegt, gebogen. Technisch: Eine Art Bördeln oder Umformen. Somit hatte man einen Formschluß, der unlösbar und doch Toleranzen ausgleichend, mit ganz einfachen Mitteln wie Hammer, Holzleiste und Schraubzwinge hergestellt werden konnte. Diese Art Blechverarbeitung hat nur nur einen Nachteil, der in unserem Fall gravierend ist: Im Bereich des Spritzwassers gelegen, mausert sich dieser Falz zur Wasserfalle. Reinlaufen ja, aber Austrocknen nur sehr langsam und im Laufe der Zeit passiert das, was zu erwarten ist: Durch das Seitenblech, vor allem im Radbereich, beginnt die Sonne zu scheinen. Und guter Rat ist da teuer. Die anspruchsvolle Reparatur würde über den Einsatz neuen Blechs führen. Welcher Grund dafür ausschlaggebend war, es nicht so zu machen, ist nicht mehr feststellbar. Dafür ist aber jemand auf eine „geniale“ Idee gekommen: Die Durchrostung wird über die gesamte Länge an der Kante voll geöffnet. Und durch diesen 95 cm langen Schlitz wird von unten ein etwa 25 cm breiter Blechstreifen geschoben und innen am alten Blech und am Winkeleisen mit fetten Schweißraupen befestigt. (siehe erstes Bild des Kapitels). Nach dem Anpassen an die alte Blechkontur wird wie mit der originalen Technik gearbeitet: Umbiegen des Blechs und fertig. Kommt noch dazu, außen auf die Kante des Reparaturblechs ein paar Schweißraupen zu setzen und zum Winkeleisen hin auch noch gleich mit Schweißnähten „abzudichten“. Das Ganze ist nun ein Paket aus Blechen außen und innen, einem Winkeleisen und zwei Falzresten. Apropos Reste. Über die gesamte Schadenslänge ist zwischen den Blechen und zwischen Winkeleisen und Blech eine Menge Rost und Schmutz , denn die zu entfernen ist unmöglich. Und nun passiert etwas, was mir heute eine Menge Arbeit macht. Das Schweißen bringt großen Eintrag von Hitze, es entstehen Spannungen. Und der Macher vor Ort klopft das Blech innen schön an die alte Blechhaut, Spalte müssen ja nicht sein. Das gleiche außen. Und peu a peu kommt eine ordentliche Klopferei zusammen, das eine kommt zum anderen, das Ergebnis ist plötzlich nicht mehr örtlich, sondern breitet sich über den Kotflügelbereich aus.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Di 19 Dez 2023, 06:57
Der letzte Beitrag endete: …das Ergebnis ist plötzlich nicht mehr örtlich, sondern breitet sich über den Kotflügelbereich aus.
Mein Fazit: Eine Anhäufung von Rostquellen, die ich im Moment und später erst recht nicht kontrollieren kann. Dazu die Qualität der sichtbaren Blechoberfläche, sie ist miserabel. Beule an Beule. Mein Beschluss ist gefasst, ich öffne alle Schweißnähte und versuche mich erst einmal dem Winkeleisen zu nähern. Frage: Wie stark ist es verrostet? Wie hat es das Schweißen und der Rost mitgenommen. Immerhin gehört es zur tragenden Struktur des Fahrzeugs. In Ordnung sollte es noch sein. Danach werde ich Entscheidungen treffen.
Rechte Seite. Durch die heraus genommenen Bodenbretter ist das Bild schon weniger erfreulich.
Fast gleiche Stelle. Mit einer rotierenden Bürste etwas gereinigt. Ich beginne mit der Flex die Raupen zu öffnen.
Von außen. Die gefalzten Bleche schneide ich auf oder biege sie auf.
Die Drehmöglichkeit der Karosse macht, daß ich gut an die Kanten kann.
Originalblech (1) und Reparaturblech (2) sind getrennt und beide vom Winkeleisen (3).
Und an diesem Punkt muß ich eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht: Greife ich „nur“ örtlich ein oder wechsele die gesamte Fläche ein. Also die Wahl zwischen Originalteil, zur Hälfte von mir verstümmelt oder einem neuen Blech, daß nach der Verarbeitung nicht mal mehr ein Arbeiter vom TEMPO-Werk identifizieren könnte, weil die die Technik vom Allersimpelsten ist. Mir wird die Entscheidung fast abgenommen durch den Zustand des Winkeleisens, des Unterzugs zwischen B-Säule und Heck. Er ist von innen heraus verrostet, also aus dem Spalt zum Blech. Lochfraß. Um das zu reparieren, müßte ich unters Blech kriechen. Und damit habe ich zwei Baustellen: Die neue Blechhaut und womöglich neue Winkeleisen. Die Baustelle wird größer. So ist es nun mal. Man geht zum Arzt wegen Schnupfen und es tun sich ungeahnte Maläsen auf.
Und an dieser Stelle gewinnt der Praktiker in mir die Oberhand. Ich bohre am Heckbogen gut zwei Dutzend, 2,5 mm Niete auf, an der B-Säule zehn und unter dem Türausschnitt fünf und kann nun das gesamte Seitenblech anheben. Der entscheidende Blick aufs Winkeleisen zeigt Rost überall. Zu diesem Zeitpunkt gibt es kein Zurück mehr. Die zur Diagnose notwendige Prozedur hat krummes Blech gemacht und nun kann niemand mehr diesen Haufen krummen Blechs richten.
Aufbohren der Niete am Heck
Das Blech kann „gelüpft“ werden.
Die halbierten Reste des Einschiebe-Blechs liegen frei.
Zum Beispiel: Zwei kleine Stellen mit „Durchgang“.
Und auf diesem Stand der Dinge treffe ich, vielleicht vorschnell, die Entscheidung, zusätzlich das Tragwerk der Winkelprofile mit auszutauschen. Als Einzelkämpfer über lange Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen ist schwer. Das Schrauben im privaten Keller ist kein Beruf als Restaurator im Museum, sondern eine Freizeitbeschäftigung mit mehr oder minder Verantwortung. Und da haben oft andere Kriterien das Sagen. Ich bestelle in einem Metallbau die Stahlwinkelprofile. Sie müssen extra gefertigt werden, weil der Schenkelinnenwinkel nicht 90, sondern 105° beträgt. Und als ich sie zu Hause habe, beginne ich mit dem Heraustrennen der altenTeile.
Sie sind raus. Nur Magenta-Linien erinnern an ihren Verlauf. Aber schon auf dem nächsten Foto sind die Profile eingeschweißt, aber noch nicht verputzt.
Genau so ist es.
Das Verblechen kann beginnen. Erst mal geschieht es es auf der rechten Seite, das stückweise Vorgehen ist besser zum Sammeln von Erfahrungen.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Mi 20 Dez 2023, 06:48
Der letzte Beitrag endete: … Erst mal geschieht es es auf der rechten Seite, das stückweise Vorgehen ist besser zum Sammeln von Erfahrungen.
Eine Papierschablone zu fertigen macht keine Mühe, sie auf ein Blech zu übertragen auch nicht. Am Riß entlang mit einer Stichsäge und das Ergebnis ist unten auf dem Bild zu sehen. Das Blech übrigens die simpelste Sorte Baustahl, 1 mm. Ich nehme es gern.
Da liegt das gute Stück. Die Magenta-Linien kennzeichnen die Fächer, die zuerst durch die Fensterausschnitte gesteckt und dort fest geklemmt werden.
Das Blech ist durchgesteckt und mit Schraubzwingen fixiert. Nun sind zuerst die Schwerkraft und dann vorsichtiges händisches Bemühen am Werke, so daß sich die neue Blechhaut zuerst an den Radius des Unterprofils anschmiegt und dann fast ohne Zwang nach unten legt.
Ordentlich im Fensterausschnitt verkeilt. Das erleichtert die Arbeit des ersten Biegens und damit ist auch mehrmaliges herausnehmen des Bleches möglich. Der Ausgangspunkt ist immer gleich, die Arbeit wird genau. Die umzustellende Blechfahne noch zu lang. Später wird das gekürzte Blech mit einer Falzzange mit breitem Maul fest angedrückt, dann gibt es kein Zurück.
Bevor ich mit dem Nieten am Heck und an der B-Säule beginnen kann, werden, wie auf dem Foto mit blauen Linien gekennzeichnet, diese Stellen verzinnt. Ebenso der Rahmen an diesen Stellen. Der Rest des Blechs wird grundiert. Mit dieser Arbeit möchte ich den Eintrag von Lötwasser (Salzsäure) verhindern, Die mit Nieten aufeinander gepressten Flächen erwärme ich nur, das Zinn verbindet sich miteinander. Dichtheit und Festigkeit sind erzielt.
Es geht alles schnell. Durch die alten Nietlöcher bohren, um Platz für neue Niete zu machen. Gut zu sehen die Verzinnung der Kontaktstellen. Niete setzen.
An den Ecken der Fensterausschnitte setze ich ziemlich großzügig Lötzinn ein. Das war so original und verringert den Einsatz von Spachtel. Unten über die gesamte Längskante ist das Blech umgestellt. Dicke Grundierung der Falze vor und nach der Beblechung.
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 21 Dez 2023, 07:45
Der letzte Beitrag endete: ... dicke Grundierung der Falze vor und nach der Beblechung.
Nicht leicht zu erkennen: Angenietetes Blech an der Vorderkante B-Säule. Alles nähert sich dem Ende des „gewaltvollen" Arbeitens.
Innen ist fast alles grundiert.
Hier nochmal neue rechte und linke alte Seite. Es ist bemerkenswert, mit welcher Sicherheit die Ingenieure ein einfach gebogtes Seiten-Blech durch einen gerundeten Heckabschluß zu neuer plastischer Qualität verhelfen. Auf den ersten Blick an ein Tiefziehteil erinnernd.
In der Sonne. Beide Seiten haben gleichgezogen. Jetzt geht es ans Spachteln.
Hier im Moment noch unfertige Stelle. Auch im Original unbefriedigend. Das Blech unter dem Türausschnitt und die hintere Seitenfläche sind einfach gedoppelt und durch Niete gehalten. Was man durch die Beleuchtung nur schwach sieht, die Naht liegt etwas tiefer in der Fläche. Spachtel egalisiert beide Blechteile.
Bin bisher zufrieden. Auf dem Fahrerhausdach schon Bemühungen um "Schönheit". Mühsam. Warum soll ich es aber besser haben als die TEMPO Leute.
Das Resümee meines Treibens. Ich bereue es auf keinen Fall, so tiefe Eingriffe in die historische Struktur des Dreirads vorgenommen zu haben. Es ist nur der konsequente Stopp eines fortschreitenden „Vergammelungs“prozesses, der, wenn nur häppchenweise angegangen, sich bis zum bitteren Ende durchziehen wird. Ich stelle mir vor, ich hätte zur Produktionszeit einen komfortablen Schaden infolge eines Unfalls. Dann könnte ich ein originales Ersatzblech bestellen. Das wäre auch heute ein Original. Die Arbeit, die Reparatur wäre es nicht. Sie ist immer individuell. Und ihre Ausführung macht, ob das Objekt verhunzt wird oder nicht.
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Schreckschrauber Lehrling
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Thema: Tempo - - Kombi-Erinnerungen Do 21 Dez 2023, 15:58
Hallo, Jürgen hier aus Österreich- Raum Wien! Ich hattte mir Anfang der 90er aus Potsdam einen Tempo 200 Pick-up geholt - wie sich später herausstellte, war dies eigentlich ein Kombi gewesen, der mittels Metallsäge und einer Sperrholzplatte hinter den Frontsitzen zu enem kleinen Lastwagen umgebaut worden war. Einige Fahrzeugbesichtigungen udf auch Käufe später fand sich jemand, der diesen Wagen wieder zu einem Kombi machen wolte (was mich überfordert hätte...) Leider ist der Kontakt dann mal abgerissen - man kennt das ja "Klar, ich ruf dich an und sag dir, wie es weitergeht! .." Und ward nie mehr gehört.... Ich habe übrigens noch einen kompletten Motor und eine Lenkung hier, falls das jemand benötigt, alles 200er Vorkrieg Und ja, der Kombi ist ein rares Teil - und ich liebe Kombis!! Leider hat NSU nie einen gebaut, denn das ist meine "Hausmarke" :-)
Ich wünsche euch allen schöne Feiertage und enen guten Rutsch ins 24er-Jahr - und ich bin dann mal gespannt, wie es weitergeht!
Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Do 21 Dez 2023, 17:39
Hallo Schreckschrauber, ja, die DDR war ein Reservoire allerlei interessanter Vorkriegs-Fahrzeuge. Und meist hatten sie das "ewige" Leben, die Gründe dafür sind bekannt. Leider wurde nicht immer, wenn zum Transport tauglich wie in Deinem Fall, sonderlich gut mit ihnen umgegangen. Sie mußten "arbeiten", sei es im Garten, auf dem Feld oder in kleinen Unternehmen. Erstaunlich, wie auch in meinem Fall, daß noch so viel von originaler Substanz erhalten geblieben ist. Das ist eines der Verdienste unserer Altvorderen, sie wußten was gebraucht wurde und haben dem entsprechend konstruiert und produziert. "Dein" Pick-up ist hoffentlich unter den Dutzend Kombis, das es noch gibt, und nicht aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit auf den Schrott gewandert ist.
Danke für Deine Zeilen, sonst ist es ja recht ruhig hier und damit schöne Feiertage nach Österreich und an alle Kollegen. Und guten Rutsch.
"Gerschen" Hohmuth
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Fr 22 Dez 2023, 07:37
Der letzte Beitrag endete: ...Und ihre Ausführung macht, ob das Objekt verhunzt wird oder nicht.
Die Kotflügel
Irgendwann hatte ich sie schon mal erwähnt. Gekürzt und unter dem Lack ziemlich zugerichtet. Sie sind machen halt die breiteste Stelle des TEMPO aus und legen sich dann und wann mit jeder Straßenlaterne an. Ich habe aber noch ein Paar neue, frisch aus einer Handfertigung. Leider aus technischen Gründen auch ohne „Entenschwanz“. Ich werde also den Teufel tun und nach meiner Wahl Staub von altem abgeschliffen Lack einatmen.
Auch die alten machen sich aus der Ferne gut. Das Bild eines Dreirades ist fast vollkommen.
Voll strotzendem Selbstbewusstsein schwinge ich den Hammer über einem Klopfmodell. Und es dauert. Mir zu lange. Und versuche es nach einer Pause wieder. Es wird. Auch wenn mir die einfachsten beruflichen Grundlagen fürs Treiben eines Blechs fehlen. Mit Geduld nähere ich mich der Form. Ich möchte ja auch kein Zinn auftragen oder Spachtel, um mein Machwerk aufzuhübschen. Und von unten gesehen, von der Radseite, soll es auch was hermachen.
Im Foto keine Spur von Mühe, aber es beginnt zu passen und nach dem Schweißen kann man erkennen, worum es sich handelt. Es wird der Schmuck meines Fahrzeuges werden.
Fertig.
An dieser Stelle werde ich meinen Bericht über die Arbeiten an der Karosse des TEMPO E 200 Kombinationswagens beenden. Zuviel Detail wäre ungesund, weil langweilig. Mir lag es an, die wenigen Gelegenheiten von Dreiradtreffen zu erweitern und was das Wissen um Technik und ihre Historie betrifft, zu erweitern. Ich hoffe, daß sich Leser meiner Seiten nicht zu sehr mit einem Oberlehrer konfrontiert fühlten. Es gibt zum gesamten Fahrzeug wesentlich mehr Fotos von jeder Situation. Für Interessenten kann ich sie auch elektronisch anbieten (Mail, wetransfer, USB Stick).
Den TEMPO Mitgliedern und hereingeschneiten Fremdlesern eine fröhliche Weihnacht und gutes Gelingen aller dreirädrigen Vorsätze im neuen Jahr.
In der Fortsetzung: Eine kleine Auswahl Bilder zum Thema TEMPO Kombi.
Gerschen Geselle
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Fr 22 Dez 2023, 07:45
Noch ein paar Fotos. Wie sie mir gerade vor die Flinte kamen. Viel Spaß.
Ende.
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AbzweigLetter Ingenieur
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration Fr 22 Dez 2023, 10:52
Hallo "Papa" Gerschen, gut gelungen ist er! Vielen Dank für Deine Mühe, uns die Arbeiten vom "Fundzustand" bis hin zum fertigen Auto zu zeigen. Für mich sind Restaurationsberichte immer anregend und spannend zu lesen. Man bekommt Ideen und Tricks, wie das eine oder andere Problem beim eigenen Projekt gelöst werden könnte. Auch Dir ein frohes und geruhsames Weihnachtsfest und guten Rutsch in das Jahr 2024!
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Thema: Re: TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration
TEMPO E 200 Kombinationswagen, Baujahr 1937. Beschreibung einer Karosserie-Restauration